
Ein Beitrag von Eva Flehschurz in ESSLING Nr. 10 - ein stadtteilmagazin (sommer 2024)
Grossmannstraße, Ecke Wiethestraße
Der Eingang in mein Reihenhaus befindet sich in der Grossmannstraße. Das ist jene Straße, über die ich unter anderem in der letzten Ausgabe berichtet habe. Was meine offizielle Adresse betrifft, gibt es unterschiedliche Meinungen. Wien Energie ist der Ansicht die Nutzer unserer Reihenhausanlage wohnen in der Grossmannstraße 3-5 und legt daher Rechnungen und sämtliche Schriftstücke an diese Adresse. Andere wiederum – wie unsere Wohnbaugenossenschaft und somit auch mein Meldezettel – sind der Ansicht wir wohnen in der Wiethestraße 69, also quasi ums Eck zur Grossmannstraße. Meinen heutigen Artikel möchte ich daher gerne mit Informationen über die Wiethestraße beginnen. Diese reicht vom Kleingartenverein Im Gestockert bis zur Stadtgrenze zu Groß Enzersdorf. Ab der Seefeldergasse stadtauswärts ist sie wegen eines Schrankens nur eingeschränkt befahrbar. Vermutlich, um eine Nutzung als Schleichweg für Fahrten von und nach Niederösterreich zu verhindern. Wegen des damit verbundenen reduzierten Verkehrsaufkommens gehe ich dort gerne mit meinem Vierbeiner spazieren oder nutze diese Straße, wenn ich per pedes oder mit dem Fahrrad abseits der Lobau oder des Geh- und Radweges entlang der Esslinger Hauptstraße nach Groß Enzersdorf gelangen möchte. Benannt ist diese Straße seit 1955 nach dem Laryngologen (Facharzt für Kehlkopfkunde) Universitätsprofessor Dr. Camillo Wiethe (1889 bis 1949), dem Bahnbrecher des Ultraschalls in Europa, wie auf Wien Geschichte Wiki zu lesen ist. Vorher war die Wiethestraße interessanterweise laut eben genannter Quelle Teil der Quadenstraße. Diese Information lese ich zwei Mal nach. Ist doch die Quadenstraße seit ich sie kenne – und, da dort Leopoldine V. (die Tante meines Vaters und mein Omaersatz) Anfang der 1970er Jahre eine kleine Garcionerre bezog, ist das auch schon a Zeitl – im Donaustädter Bezirksteil Hirschstetten zu finden. Nähere Details zu einem Esslingbezug konnte ich nicht eruieren. Auf der Wien Geschichte Wiki-Seite habe ich zwar einen Eintrag „Quadenstraße (22, Essling)“ gefunden. Die einzige darin enthaltene Information jedoch besteht in einer Weiterleitung zur Wiethestraße. Die Quaden übrigens – ich gebe zu, ich wusste es bis dato nicht, meine Tante Poldi sicher auch nicht – waren ein westgermanischer Volksstamm, die mit den Markomannen (die Markomannenstraße befindet sich ebenfalls in der Donaustadt, im Bezirksteil Kagran) im vierten Jahrhundert gegen die Römer kämpften. Die Hirschstettner Quadenstraße erhielt ihren Namen im März 1909.
Aber zurück nach Essling und zur Wiethestraße. Oder vielmehr zu deren Namensgeber. Camillo Wiethe stammte aus einer Wiener Ärztefamilie. Im ersten Weltkrieg kam er in seiner Funktion als Arzt an die Front und wurde schwer verwundet. Nach dem Krieg spezialisierte er sich auf Erkrankungen des Kehlkopfes und behandelte Sänger der Wiener Staatsoper ebenso wie Mitglieder der Wiener Sängerknaben. Prominente Patientinnen waren unter anderem Marta Eggerth, Jan Kiepura und Leo Slezak. Da er sich nach dem Anschluss Österreichs 1938 weigerte, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen, musste Wiethe seine Lehrbefugnis an der Uni Wien zurücklegen. 1945 nach Kriegsende wurde er von der Medizinischen Fakultät der Uni Wien zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt und übernahm 1946 die Leitung der zweiten Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Camillo Wiethe starb 1949 kurz nach Rückkehr von einer Vortragsreise in die Vereinigten Staaten in seiner Heimat an Magenkrebs und wurde auf dem Grinzinger Friedhof bestattet.
Im Gestockert
Das eingangs im Zuge der Straßenführung der Wiethestraße erwähnte Im Gestockert ist mit unbekanntem Datum nach einem historischen Flurnamen benannt. Im Frühjahr 1974 wurden dort Parzellen teils auf Feldern, teils auf einer Deponie, die stellenweise auch für nicht legitimierten Abfall verwendet wurde, aufgeschlossen. In den 1980er Jahren kam es zur Sanierung der kontaminierten Deponieflächen. Die Vergabe der Parzellen erfolgte laut Webseite des Kleingartenvereins im Gestockert seinerzeit mittels Ziehung eines Loses. Vielleicht eine kleine Anregung für die künftige Vergabe von Kleingärten...
Kermaunerweg
Mein Reihenhaus befindet sich also, wie nun allseits bekannt, in einer Anlage Ecke Grossmannstraße, Wiethestraße. Am Ende meines sieben Häuser umfassenden Reihenhausblocks gibt es eine kleine Straße, die als Einbahn Richtung stadtauswärts geführt wird und abseits der Wirtschaftswege als einzige Straße direkt in unsere Anlage führt. Der sogenannte Kermaunerweg. Benannt ist der Kermaunerweg seit 1978 nach dem Gynäkologen Professor Dr. Fritz Kermauner (1872 bis 1931). Zu Kermauners Hauptarbeitsgebieten gehörten die Teratologie (Fehlbildungen im Rahmen der normalen Entwicklung des Menschen, im engeren Sinn eines Embryos, durch Faktoren von außen, wie etwa chemische Stoffe) und die histologische Diagnostik des Gebärmutterkrebses – Quelle: Wien Geschichte Wiki. Ja, da fühle ich mit gut aufgehoben. Eingebettet zwischen der musikalischen Kreativität eines Herrn Ferdinand Großmann und der ärztlichen Kompetenz der Herren Fritz Kermauner und Camillo Wiethe. Wobei letzterer nebst seiner fachlichen Fähigkeit auch menschliche Größe zeigte, indem er dem Naziregime nicht klein beigab und trotz beruflicher Nachteile zu seiner Frau stand.
Raphael Donner Allee
Der Kermaunerweg wiederum mündet in eine Allee, deren Namensgeber vermutlich jede und jeder von uns irgendwann schon einmal gehört hat, nämlich in die Raphael-Donner-Allee, benannt mit unbekanntem Datum nach Georg Raphael Donner, dem Schöpfer des Providentiabrunnens (providentia ist lateinisch und bedeutet Vorsehung) am Mehlmarkt, wie der Neue Markt bis ins 18. Jahrhundert hieß. Da die Wiener mit dem „Vorsehungs-Begriff“ nicht viel anfangen konnten, wurde (und wird) das Bauwerk im Volksmund Donnerbrunnen genannt. Das Geburtshaus von Georg Raphael Donner befand sich auf der Esslinger Hauptstraße 95. Im Jahre 1941 wurde dort eine Gedenktafel aus Zink von Arnold Hartig, mit Relief des Providentiabrunnens, mit folgender Inschrift enthüllt: „An dieser Stelle stand das Geburtshaus des grossen österreichischen Bildhauers Georg Raphael Donner, geboren am 24. Mai 1693 zu Essling, gestorben am 15. Februar 1741 zu Wien.“
Auch für diese Ausgabe hat sich meine Spurensuche gelohnt, so viel Neues habe ich wieder erfahren. Daher: Heute ist nicht alle Tage, ich recherchiere weiter, keine Frage ...
Kontakt & Angebote der Autorin
Eva Flehschurz, Schreibpädagogin
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Jeden letzten Freitag im Monat von 10-12 Uhr
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