Ein Weihnachtskrimi von Gaby Mühlbauer
Liebe EsslingerInnen,
vor vielen Jahren veranstalteten ich während eines Familienurlaubes eine Rätselrallye. Als Erinnerung daran habe ich den damaligen Text zusammengefasst und den Teilnehmern zu Weihnachten geschenkt. Um ihn nochmals aufleben zu lassen – und da eine lustige Weihnachtsgeschichte daraus geworden ist, möchte ich sie gerne mit euch teilen. Erwartet euch nicht zu viel, aber ich hoffe, sie bringt euch ein wenig zum Schmunzeln. Wir jedenfalls hatten bei der Rallye einen Riesen-Spaß.
Schöne und geruhsame Weihnachtsfeiertage auf
Schloss Grauenstein wünscht
Gaby
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Die Nacht senkte sich langsam hernieder, auch auf Schloss Grauenstein, dessen einstiger Prunk und Glanz längst erloschen war. Es war eine dieser eisigen Nächte kurz vor Weihnachten. Schnee war meterhoch gefallen und von den Tannenzweigen hingen dicke Eiszapfen herab. Das uralte, am Waldesrand liegende Gemäuer, das düster und kalt beginnende Verfallserscheinungen erkennen ließ, schien auf den ersten Blick unbewohnt. Doch bei näherer Betrachtung konnte man durch manche dunklen Fenster, die an leere Augenhöhlen denken ließen, schwach flackerndes Licht erkennen.
Old Seeling zündete die Kerzen an. Der alte Butler, der seit Jahrzehnten im Schloss seine Stellung hielt, erfüllte auch an diesem Abend seine Pflicht. Sein linkes Bein war ein wenig lahm, so dass es, während sein Besitzer von Raum zu Raum ging, durch den schlurfenden Gang ein unheimliches Geräusch verursachte. Aber niemand aus dem nahen Ort nahm das je wahr, denn keiner wagte sich bei Nacht so nahe an das Schloss heran.
Eine alte, geheimnisumwobene Geschichte lag unheildrohend über dem Gemäuer. Man munkelte und flüsterte hinter vorgehaltener Hand, dass seit hunderten von Jahren ein Gespenst auf dem Schloss sein Unwesen treibe. Der damalige Graf, ein geiziger und bösartiger Mann, wollte seine Tochter, eine reizende Schönheit, an einen reichen, aber alten Mann verheiraten, der weit entfernt sein Domizil bewohnte. Sie aber hatte sich in den jungen Stallburschen des Hauses verliebt und wollte mit ihm fliehen. Es war jedoch zu spät. Der Vater ertappte das Liebespaar und erschoss den jungen Mann. Und so kam, was kommen musste: Der Kummer war so groß, dass sich das Mädchen von der höchsten Zinne stürzte.
Als das die Gräfin erfuhr, ließ sie ihren Gatten aus namenloser Wut über seine Tat und deren Folge lebendig in einen der Räume einmauern und belegte das Schloss mit einem Fluch: Erst wenn die Leiche des Grafen gefunden und diese zu Grabe getragen war, erst dann wäre der Bann gebrochen und Friede würde einziehen auf Schloss Grauenstein.
Jeder sprach darüber, aber niemand wusste etwas Genaues. Nur einer, so nahm man an, kannte die Wahrheit.
Graf Randolf persönlich.
Doch dieser fand kein Interesse an dem Mythos seiner Vorfahren. Viel lieber zog er Abend für Abend mit den wenigen Freunden, die er hatte, von Kneipe zu Kneipe durch den Ort. Sie grölten und lachten, spielten stundenlang Karten um hohe Einsätze und wankten meist erst nach Mitternacht betrunken nach Hause.
Der alte Herr und sein getreuer Diener Old Seeling waren nicht die Einzigen, welche Grauenstein bewohnten. Da waren auch noch Seelings unzufriedene, ewig zankende Gemahlin, die den kleinen bewohnten Teil des Schlosses sauber halten sollte, eine Köchin, der man eher Giftmischen als das Zubereiten von genießbaren Speisen zutraute und ein steinalter Gärtner mit Glasauge, der den ganzen Tag verstohlen Löcher im Garten grub, nur um sie wieder zuzuschütten.
Doch in jener Nacht war der Speisesaal ungewohnt erhellt, einige Zimmer mehr als sonst belegt und im Schlosshof standen mehrere Autos. Besuch hatte das Haus schon lange nicht mehr gesehen. Doch nun war die gesamte Familie Grauenstein eingetroffen. Dinierend und im friedlichen Geplauder saß man um den großen runden Eichentisch, der wider Erwarten mit vielen lecker wirkenden Speisen gedeckt war. Die schweren Gläser waren mit rotem Wein gefüllt. Fröhlich flackerte ein wärmendes Feuer im offenen Kamin.
Graf Randolf von Grauenstein hielt nicht viel von Familie, und die Familie nicht viel von ihm. Ab und zu kam einer von ihnen vorbei. Ganz gewiss nicht um Randolf zu besuchen, eher um nach seinem Erbe zu sehen. Dass alle so nett beieinander saßen hat es überhaupt noch nie gegeben, denn auch untereinander war man eigentlich nicht sehr freundschaftlich gesinnt. Irgendetwas Außergewöhnliches musste geschehen sein. Etwas, das die sonst so verschiedenen Menschen miteinander verband. Das konnte nur eines bedeuten: jemand in der Familie war gestorben und man ging nun daran, den Nachlass aufzuteilen.
Dazu waren sie alle gekommen. Von nah und fern. Der Graf war das älteste Familienmitglied und der Einzige, der den Besitz dieser großen Familie verwaltete, das hatte er sich nie aus der Hand nehmen lassen. Doch nun war er tot. Vor einigen Tagen hatte ihn der getreue Butler Old Seeling morgens in seinem Bett aufgefunden.
„Eindeutig Herzinfarkt“, hatte sein jahrelanger Arzt und Saufkumpan trocken verlauten lassen und es auch so - in den Totenschein geschrieben „Kein Wunder bei dem Lebenswandel, habe ihn ja immer davor gewarnt, aber er wollte nicht hören. Er wird uns fehlen - bei der Herrenrunde.“ Mit diesen Worten hatte der Doc seinen Kognak hinuntergekippt, seine Zigarre in dem gusseisernen Aschenbecher ausgedämpft und das Schloss verlassen.
Ja, die Herrenrunde war wohl die Einzige, die den grimmigen Mann vermissen würde. Von Familie und den Leuten im Ort gemieden, hatte der Graf, der nie verheiratet war, was für die eventuelle Angetraute auch entschieden besser war, sehr einsam und zurückgezogen gelebt. Irgendwo in der Türkei lebte eine uneheliche Tochter von ihm, die er in einem schwer angetrunkenen Zustand gezeugt haben soll. Aber auch sie war ohne Bedeutung für ihn. Einzig und allein seine Herrenrunde lag ihm am Herzen. Das war seine Leidenschaft.
Also kurz gesagt, die Familie war nur des Erbes wegen erschienen - und gerade dieses schien nicht vorhanden. Man hatte sich an diesem Nachmittag zum Begräbnis getroffen und anschließend beim Notar erfahren, dass kaum etwas übrig war, die Bestattungskosten konnten noch so recht und schlecht beglichen werden. Dies sorgte für allgemeine Verwirrung, denn Randolfs Vater hatte ihm ein riesiges Vermögen hinterlassen. Der Verstorbene galt weithin als eigentlich steinreicher Mann.
Ja, die liebe Familie, nun saßen sie alle mit mehr oder weniger langen Gesichtern da.
Zuerst einmal war da Agatha. Eine der beiden Schwestern des Grafen. Eine reizende ältere Dame, die noch ganz jugendlich erhalten schien und immerzu freundlich über ihre Brillengläser guckte. Sie war eine von jenen Ladies, denen nichts und niemand etwas anhaben konnte.
„Ach Kinder“, meinte sie besänftigend, als alle aufgeregt durcheinander sprachen. „Was ist denn so schlimm daran? Wenn nichts da ist, ist eben nichts da und damit basta!“ Zur Bestätigung klopfte sie auf den Tisch.
„Aber Tante, wie kannst du denn nur so reden, wie kann denn das viele Geld verschwunden sein?“ Kathrin wirkte enttäuscht. Sie war extra mit ihrem Verlobten Marco aus der Türkei angereist. Kathrin und Marco waren ein an chronischer Geldmangel leidendes Pärchen, dessen Kaninchenzucht offenbar nicht viel einbrachte, möglicherweise hatten sie ihren Business-Plan nicht gänzlich durchdacht, brauchte eben dringend Geld. Marco sprach fast kein Wort Deutsch, deshalb musste ihm seine Kathrin alles übersetzten. Diese war vor Eifer ganz rot im Gesicht: „Wohin denn und warum denn und wieso denn???“
„Genau, genau!“ unterstützte Marco seine Braut und sein etwas zu lang geratener Zeigefinger schnellte Richtung Decke empor. Alle sahen nach oben.
Maria, Randolfs zweite Schwester, die schon etwas zerknittert wirkte und eine doppelt so breite Ausgabe von Agatha war, lenkte die Aufmerksamkeit mit ihrer schrillen Stimme auf sich. „Gott möge mir verzeihen, also wirklich Agatha, du weißt, ich bin ein gottesfürchtiger Mensch und bestimmt nicht habgierig, aber Kathrin hat recht. Vater hat nur Randolf, Gott sei seiner armen Seele gnädig, weil er der einzige Sohn war, alles vermacht und uns in keiner Weise bedacht. Das war einfach nicht fair. Und jetzt sollen wir wieder leer ausgehen? Dabei will ich ja nichts für mich. Aber mein Franzl“, sie blickte auf den kleinen Mann neben ihr, „der Pastor ist in unserer Gemeinde, der würde das Spendengeld ganz dringend gebrauchen.“
„Also ich bin auch dafür, wo nix is, is nix. Fahr ma wieda, do is eh nix los!“ Alle blickten sich nach der Stimme im Hintergrund um. Ein etwa 14jähriger Junge, gänzlich ohne ein einziges Haar am Haupt, lümmelte gelangweilt, Chips in sich hineinmampfend, auf dem Sofa vor dem Kamin. Seine ellenlangen Beine baumelten über die Lehne. Randolfs Großneffe Leunam, manche Menschen hießen wirklich so, der die Feiertage bei seinem Vater Gerard verbrachte, fühlte sich hier überflüssig und fand das ganze Gerede um den komischen Großonkel und seine verschwundene Habe zum Kotzen. Er wollte nach Hause, zu seinen Kumpels.
„Ruhe!“, befahl Evelyn, seine Stiefmutter, die sich beim Schifahren in St. Moritz ein Bein gebrochen hatte und deshalb im Rollstuhl angereist war. „Sprich anständig Junge, außerdem sitz gerade, du bekommst noch einen krummen Rücken. Stopf nicht immer dieses Zeug in dich hinein, sondern iss mehr Obst und Gemüse, sonst wirst du noch ganz krank werden. Übrigens, wie schaust du denn überhaupt schon wieder aus? Wir sind bestimmt alle total begeistert von deiner neuen tollen Frisur und deinem Piercing.“ Und zu den anderen meinte sie kopfschüttelnd: „Schrecklich, diese Jugend von heute! Ich sage Euch, das kommt alles vom Fernsehen und ist geradezu...“
Leunam verdrehte die Augen und hielt sich die Ohren zu.
Gatte Gerard unterbrach den Redeschwall seiner Frau: „Liebling, darum geht es jetzt doch nicht. „Aber Onkel Randolf hat damals, als Großvater starb, all die Millionen eingestreift und jetzt ist einfach nichts mehr davon da. Uns wäre doch auch was zugestanden, oder?“ Er fuchtelte zur Bekräftigung seiner Frage nervös mit den Händen durch die Luft.
„Also ich“, sagte Agatha, „habe mich zu Lebzeiten meines Bruders genug über ihn geärgert und will das jetzt nach seinem Tod ganz bestimmt nicht weiter tun, mein lieber Sohn.“ Sie strich sanft über Gerards Arm, erhob sich und wollte mit den Worten: „Ich gehe jetzt zu Bett und reise morgen ab“, den Raum verlassen.
„Warte, Tante, ich habe da eine Idee.“ rief Kathrin plötzlich, „Ich denke, und darüber sind wir uns ja alle einig, mein Vater kann ja nur beim Kartenspiel das ganze Vermögen verjubelt haben.“
„Genau!“, warf Marco ein und wieder: „Genau!“ Und wieder schnellt der Zeigefinger nach oben.
„Ja“, fährt seine Verlobte unbeirrt fort, „dagegen können wir nun nichts mehr machen, aber wir könnten doch den Besitz verkaufen. Im derzeitigen Zustand wirft es wohl nicht besonders viel ab, aber das Grundstück hat doch einen Wert, und darauf sollten wir alle nicht verzichten.“
„Genau, Genau!“ Marcos Zeigefinger...
„Das wäre ja gar keine so schlechte Idee, oder?“ Gerard blickte fragend in die Runde.
„Und was ist mit dem Schlossgespenst, he?“, mampfte es aus dem Sofa.
„Versündige dich nicht, du dummer Bub!“, rief Maria, die plötzlich bleich geworden war.
„Keine Angst Großtante“, feixte Leunam, „wir schicken dich voraus!“, worauf allgemeines Gelächter ausbrach.
Erzürnt erhob sich die Gekränkte, riss ihren Pastorengatten am Sakko ebenfalls hoch und verließ, den armen Mann hinter sich her schleifend, mit den Worten: „Komm Franzl, das haben wir nicht notwendig, wir gehen!“ das Speisezimmer. Krachend fiel die Tür ins Schloss.
Agatha, die die ganze Zeit neben der Tür gestanden hatte, setzte sich lächelnd wieder zu den anderen: „Also, ich glaube wirklich nicht, dass es dieses Gespenst überhaupt gibt, aber wenn ihr wollt, gehen wir der Sache auf den Grund.“
Alle waren einverstanden. Sogar Leunam zeigte Interesse und setzte sich zum Tisch. Gemeinsam steckten sie die Köpfe zusammen und beratschlagten. Wie schon erwähnt gab es diese alte Sage, nur wusste niemand, ob sie sich wirklich so zugetragen hatte, oder ob sie bloß eine Erfindung war. Der Einzige, der ihnen vielleicht Antwort darauf geben hätte können, lag draußen auf dem Friedhof des Dorfes, in der kalten Erde, zugedeckt vom weißen Schnee und hatte seine ewige Ruhe gefunden - Graf Randolf von Grauenstein. Ganz still war es geworden. Die Kerzen waren fast heruntergebrannt und auch das Feuer im Kamin knisterte erschöpft.
Plötzlich näherten sich Schritte, hielten vor der Tür - es klopfte. Erschrocken sahen alle auf. Der goldene Knauf drehte sich, quietschend öffnete sich die Tür und herein trat der alte Butler, mit gebeugtem greisem Haupt und müdem Gang. „Post für die Herrschaften“, murmelte er und seine zittrige und knorrige Hand präsentierte eine merkwürdig aussehende Schriftrolle auf einem Silbertablett.
Post? Von wem? Alle waren ein wenig aus der Fassung und starrten auf das Tablett, das nun in der Mitte des Tisches lag. Es war eine Pergamentrolle, so wie man sie früher benutzte, mit einem roten Samtband gebunden. Keine Anschrift, kein Absender, keine Marke oder Poststempel waren darauf zu sehen. Das konnte nur von einem Boten gebracht worden sein.
„Ach, gebt doch her“, brach Evelyn das Schweigen, „wenn wir sie nicht aufmachen, werden wir nie erfahren, von wem das ist.“ Zielstrebig brach sie das Siegel aus braunem Wachs auf, öffnete das Band und begann leise vor sich hinmurmelnd zu lesen. Ihre Augen wurden immer größer. Entsetzt ließ sie den Bogen fallen, gerade so, als ob er Feuer gefangen und sie sich die Finger daran verbrannt hätte. Alle sahen sie fragend an. Als niemand etwas zu unternehmen schien, wurde es Leunam als erstem zu blöd.
Er stand auf, nahm das Papier und begann die altmodisch verschnörkelten, mit einer Schreibfeder gemalten Buchstaben gespannt zu lesen:
Seit vielen 100 Jahren
In diesen alten Mauern
Eine Seele irrt umher
Und sie ist zu bedauern.
Lebendig der Herr begraben
Ein Fluch lastet auf ihn
Erst wenn sie ihn verschaben
Darf er von dannen zieh´n.
Befreit die arme Seele
Ich helfe Euch dabei
Dann ist der alte Graf
und Schloss Grauenstein erst frei!
Dort wo der große Falke
Einst seine Kreise zog
Da gibt´s den ersten Hinweis
Auf des Ahnens Tod.
Als sich der erste Schreck gelegt hatte, meinte Gerard: „Aber das kann doch nur ein Scherz sein!“
„Ja“, sagte Agatha, „aber kein guter.“
„Also, ich lass‘ mich sicher nicht einschüchtern!“, rief Kathrin, von Marco und seinem Finger mit „Genau, genau!“ bestärkt.
Alle waren sich einig und Leunam jubelte begeistert: „Wir machen Jagd auf das Gespenst, endlich einmal ein Abenteuer, aber wo fangen wir an?“
Alle Köpfe beugen sich über die Schriftrolle. Der Falke? Ja, genau, die Falkenzucht! Früher, so wusste man, wurden hinter dem Schloss Falken gezüchtet und das schon seit vielen Generationen. Man hatte dort eine Voliere aus Holz gebaut und für die Vögel Nistplätze errichtet. Die Tiere wurden von klein auf handzahm gemacht und später dann für die Jagd abgerichtet. Die Falknerei von Grauenstein war einst auf der ganzen Welt berühmt gewesen. Erst der kürzlich verstorbene Graf Randolf hatte dieses Hobby nicht mehr weiter betrieben. So brachen alle, bis auf Evelyn, die ihnen ja leider auf Grund ihrer Verletzung nicht folgen konnte, fröhlich plaudernd auf, um den ersten Hinweis zu suchen.
Wenn sie gewusst hätten, was sie erwartete, wären sie nicht so fröhlich gewesen. Der Mond schien hell über das Schloss, der Wald warf dunkle Schatten voraus und von irgendwoher ertönte der unheimliche Schrei einer Eule.
Wie in Sibirien vermummt und nur mit Taschenlampen bewaffnet schlichen unsere Freunde um das Schloss, und so ihrem Abenteuer entgegen. Evelyn sah der fröhlichen Gruppe nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden war. Es tat ihr in der Seele weh, nicht mitmarschieren zu können. Aber was soll‘s - sie würde sich ein gutes Buch aus der Bibliothek holen und sich damit gemütlich ins Bett legen. Mit ihrem elektrischen Rollstuhl fuhr sie in die Halle hinaus.
Außerhalb des Speisesaales war es sehr kalt und die wenigen Kerzen gaben kaum Licht. Ein Blick nach oben an die Decke erklärte ihr die Finsternis. Alle Glühbirnen waren scheinbar auf Grund von Sparmaßnahmen aus der Fassung geschraubt. Ihr war ein wenig mulmig zumute, als sie den Gang entlangfuhr. Plötzlich gefror ihr das Blut in den Adern. Ein schauerliches Jammern ertönte und fand Widerhall in den alten Gemäuern. Evelyn erschrak zutiefst. Suchend sah sie sich um. Aus einem Türspalt am Ende des Korridors drang Licht. Zuerst wollte sie die Flucht ergreifen, doch als sich der erste Schreck gelegt hatte, kam sie wieder zur Vernunft. Das leise Surren ihres Rollstuhls begleitete sie in Richtung der Tür, die, so bemerkte sie jetzt, ins Zimmer von Maria und Franz führte. Ansonsten war es wieder still geworden. Leise schob sie sich vor den Spalt, öffnete ihn ein wenig und blickte in den hell erleuchteten Raum. Was sich ihr da bot, war ein Bild für Götter.
Maria, in einem Nachthemd aus Urgrossmutters Zeiten, kniete unter dem Tisch. Über ihren mit Lockenwicklern geschmückten Kopf hatte die alte Dame ein großes Badetuch geworfen, das sie mit beiden Händen leise vor sich hin wimmernd krampfhaft festhielt.
„Tu doch etwas, Franzl! Tu doch was!“
Ihr Gatte, der Herr Pastor, kreidebleich und bis auf einen besockten rechten Fuß splitterfasernackt (er war wohl gerade beim Umziehen gewesen) hielt einen Polster vor sich, den er zur Abwehr benutzte. Denn in das ganze schöne Spektakel hinein flog - immer wieder im Kreis herum - eine Fledermaus. Von ihrem Radar geführt, zuerst zur Wand, zum Tisch, unter dem Maria kauerte, zur Tür und zum Polster des Pastors, der ihn in seiner Verzweiflung immer wieder vor sich herschob, der Fledermaus entgegen. Dann begann das Ganze wieder von vorn. Nur zum Fenster, das sperrangelweit offenstand und ihr die Freiheit geboten hätte, flog die Fledermaus nicht. Evelyn hatte die Hand vor den Mund gepresst. Ansonsten hätte sie wohl laut herausgelacht. Plötzlich schien es sich das Tier anders zu überlegen. So als hätte es nie etwas anderes vorgehabt, ließ es von den Eheleuten ab und flog hinaus, dem Mond entgegen. Leise zog unsere Beobachterin die Türe wieder ein wenig zu und verdrückte sich, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Schon wollte sie die Türe zur Bibliothek öffnen, als sie daraus Stimmen hörte:
„Pssst“, sagte eine weibliche Stimme „nicht so laut, man kann uns doch hören!“ Evelyn hielt inne und lauschte.
„Ach was, die einen sind doch schon schlafen gegangen und die anderen wandern gerade zur alten Zuchtstation“, meinte diesmal eine männliche Stimme.
Und auch eine dritte Stimme meldete sich zu Wort: „Wenn die das Schloss verkaufen, stehen wir auf der Straße. Was soll dann aus uns werden? Aus und vorbei mit all der Gemütlichkeit!“
"Dann sollten wir es eben mit allen Mitteln verhindern“, war nun die erste Stimme wieder zu hören. Old Seelings knorrige Stimme, Evelyn erkannte sie sofort, polterte mitten drein: „Ja was wollt ihr denn dagegen tun? Also ich sage euch gleich, da spiele ich nicht mit!“ Kaum waren die Worte ausgesprochen, flog die Tür auf, er stolperte heraus und schlug die Türe hinter sich zu.
Evelyn konnte sich gerade noch hinter einem Vorhang verstecken. Als Old Seeling außer Sichtweite war, rollte sie so schnell wie sie konnte in ihr Zimmer. Was sie nicht mehr sehen konnte war, wie ihr Blicke folgten. Sicherheitshalber verschloss sie die Tür. Was sie gehört hatte genügte ihr vorerst. Man wollte den Verkauf des Schlosses verhindern. Wer aber hatte den Brief geschrieben? Niemand vom Personal, da war sie sich sicher, denn der Schreiber war ja auf ihrer Seite. Sie würde sich in diesen alten knarrenden Schaukelstuhl verkriechen, der in ihrem Zimmer stand, über alles in Ruhe nachdenken und auf die Anderen warten. In welche Familie war sie da wohl geraten?
Die anderen erreichten soeben die einst aus Holz gezimmerte, jetzt aber verfallene, Voliere der Falkenzucht. Es roch nach Verfaultem und Moder. Das Dach war halb eingebrochen und durch die fehlenden Balken hatte der Wind Schnee hereingetrieben.
Gerard leuchtete mit der Taschenlampe die Regale der Nistplätze aus, als er plötzlich innehielt. Etwas Rotes leuchtete ihm entgegen. Beim näheren Hinsehen erkannte er eine Pergamentrolle, die genau wie jene aussah, die Old Seeling ihnen überreicht hatte, ebenfalls mit braunem Wachs versiegelt und mit einem Roten Band versehen. Er erbrach das Siegel unter den neugierigen Augen der Familie, öffnete die Schriftrolle und las:
Hier in diesen Räumen
Das Unheil einst begann.
Da fand der Graf die Tochter
Und den jungen Mann.
Da nahm er die Pistole
Und brach das Glück entzwei.
Er vergrub die Leiche
Im Stadel unterm Heu.
Wenn ihr den Stallknecht findet,
Oder das was von ihm blieb,
Dann sei der nächste Hinweis
Euch teuer und auch lieb.
Gerards Hände wurden feucht.
„Oh Gott!“, stöhnte Agatha und griff sich mit der Hand an die Stirn.
„Oh Gott, o Gott!“, wiederholte Kathrin und griff sich mit der Hand ans Herz.
„Cool, eine echte Leiche“, gab Leunam trocken von sich.
„Na gut“, sagte Marco in gebrochenem Deutsch, „was wir jetzt machen?“
Gleich neben dem Holzverschlag gab es einen Stadl, in dem wohl früher einmal Heu als Vorrat zum Ausmisten der Nester lagerte. Durch eine kleine, schmale Tür konnte man von hier direkt hineingelangen.
„OK, wir suchen die Leiche, aber ich gehe mit Marco allein. Ihr wartet draußen“, meinte Gerard.
Agatha und Kathrin waren sofort einverstanden, aber Leunam hatte das Gefühl, gerade das Spannendste zu verpassen: „Ich mag aber mit!“, sagte er trotzig zu seinem Vater.
„Na gut, aber sage ja nichts deiner Mutter davon, die bringt mich um, wenn sie erfährt, wie du deine Weihnachtsferien verbringst. Dann hätten wir schon zwei Leichen, und ich glaube, eine ist wohl genug.“ Gerard fand das eigentlich gar nicht komisch. Seltsam, dass er trotzdem lachen musste. Zu dritt krochen sie durch die Tür in einen stockdunklen Raum.
Agatha und Kathrin verließen den Verschlag durch den Ausgang. Draußen war es bitterkalt. Die beiden froren erbärmlich. Agatha wollte gerade ihre Handschuhe aus der Jackentasche holen, als sie über einen harten Gegenstand stürzte. Sie rappelte sich auf und rief nach Kathrin, die schon einige Schritte voraus war. Sie sollte ihr mit der Taschenlampe leuchten, um herauszufinden, worüber sie gestolpert war. Im schwachen Schein der Taschenlampe erkannten sie einen umgestürzten Grabstein. Als sie den Lichtstrahl weiterwandern ließen, bemerkten sie, dass sie auf einem kleinen Friedhof standen.
Das muss wohl der Familienfriedhof sein. Randolf wurde als einziger der Familie am Friedhof des Dorfes begraben. Weshalb er nicht hier begraben sein wollte wie alle Vorfahren der Familie war ein Rätsel. Alle anderen Vorfahren wurden, wie es früher üblich war, in eigener Erde bestattet. Hier lagen sie nun alle. Die, von denen sie abstammten. Wie hatten sie wohl gelebt? Wie waren sie gestorben? Niemand würde ihnen das mehr beantworten können. Randolf hatte bei den wenigen Besuchen, die sie tätigten, niemals viel gesprochen und schon gar nicht über solche Dinge. Schade, dachte Agatha, dass man sich niemals wirklich mit ihm unterhalten konnte. Sie wusste eigentlich gar nichts über ihre Familie und kannte ihren eigenen Bruder kaum. Hatte sie doch schon als ganz kleines Mädchen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester das Schloss und die Grafschaft verlassen. Über ihren Vater wurde nie gesprochen. Nicht einmal bei seinem Begräbnis waren die sie und ihre Schwester Maria dabei gewesen. Nun stand Agatha vor seinem Grab. Mit ihrer Nichte gemeinsam lasen sie nun auch die Namen, welche in die anderen Grabsteine eingemeißelt waren und fanden dabei auch die letzte Ruhestätte von Amalia, der jungen Contessa und jene ihrer Mutter.
Einstweilen hatten die Männer in der Scheune alles durchsucht und dann in einer Grube unter vermoderten Brettern ein Skelett gefunden. Dass es sich bei diesem um den jungen Liebhaber handelte, war ihnen klar. In den morschen Knochen seiner Hand hielt er eine Zigarettendose.
Plötzlich ertönte ein gellender Schrei, der ihnen die Haare zu Berge stehen ließ. Gerard riss die Dose an sich und stürmte mit den anderen nach draußen. Dort standen Kathrin und Agatha: Der Schrei kam von Schloss. Vielleicht war Evelyn in Gefahr??? Wie gehetzt rannte die kleine Gruppe über die finstere verschneite Wiese zurück und stürmte in Evelyns Zimmer. Die musste in ihrem Schaukelstuhl eingeschlafen sein, denn sie erschrak heftig über den Überfall.
„Ist dir was geschehen?“, schrie Gerard sie an.
„Aber nein, was soll mir denn geschehen sein?“, schrie sie verwirrt zurück. Offensichtlich hatte sie den Schrei nicht gehört. Froh, dass Evelyn kein Leid zugestoßen war und vom Laufen müde, ließen sich alle auf die nächsten Sitzgelegenheiten fallen.
„Aber ich habe euch etwas zu erzählen und bin auch gespannt, was ihr erlebt habt.“ Als sie die Fledermausgeschichte von Maria und Franz erzählte, brachen alle in lautes Gelächter aus. Wer den Schaden hat, hat auch noch den Spott dazu. Den würden die beiden sicher noch zu spüren bekommen. Während man so die Geschehnisse austauschte, konnte sich Leunam unbemerkt aus dem Zimmer verkrümeln.
Aber er war nicht lange fort. Kreidebleich und zitternd, wild mit den Armen herumgestikulierend, stand er plötzlich wieder im Zimmer. Ihm war offensichtlich das Abenteuer gründlich vergangen. Das Einzige, das er herausbrachte war: „Jetzt, jetzt hab“, er musste immer wieder Luft holen, „jetzt habe ich eine Leiche gesehen, diesmal eine richtige, mit Fleisch und Blut und so!“
„Wo? Wer?“ waren die ersten Fragen, aber Leunam deutete ihnen nur, mitzukommen. Wieder mit Taschenlampen bewaffnet, denn die Kerzen im Flur waren alle ganz heruntergebrannt, folgten sie ihm. Leunam führte sie ins Billardzimmer. Alle erstarrten.
Old Seelings Leiche lag unter dem Spieltisch. Er stierte sie mit großen leeren Augen an. Überall war Blut. An den Möbeln, an den Wänden und an den Vorhängen, die offenbar im Kampf heruntergerissen worden waren. Mitten im grünen Samt über den normalerweise die Kugeln rollten, steckte ein blutiges Küchenmesser und jemand hatte theatralisch in Rot
R A C H E
dazu gemalt.
„Kinder, alle hier raus, aber sofort!“, befahl Agatha, der plötzlich einfiel, dass sie im Moment das Familienoberhaupt war und somit die Verantwortung trug. Das hier war kein gespenstischer Scherz mehr, sondern sehr wirklich und sehr gefährlich, für sie alle.
Beim Hinausgehen bemerkte Marco etwas in der Hand der Leiche. „Halt!“, rief er. „Toter Mann, Hand, was hat!“
„Der tote Mann hat etwas in der Hand, zum Kuckuck!“, belehrte ihn Kathrin. Es schien ihr wirklich wichtig zu sein.
Gerard bückte sich und öffnete die Faust des Alten. Ein zerknittertes Papier, das dem der mysteriösen Rollen glich, kam zum Vorschein. Eilig nahm er es an sich. Sie begaben sich alle in das Zimmer von Tante und Onkel Fledermaus. Wenn auch nicht sehr beliebt, konnte man sie ja doch nicht schutzlos lassen. Die beiden, die friedlich in ihren Betten schliefen, mussten erst geweckt und auf den neuesten Stand der Dinge gebracht werden. Vorsorglich verschloss man die Tür. Gerard rief über‘s Handy die Polizei, entrollte das braune Papier und las:
Findet schnell den Schlüssel
Und das Schloss dazu,
dann hat
der Graf von Grauenstein
endlich seine Ruh.
Nun war ja alles klar. Old Seeling, dem Randolf immer vertraute, hatte sich diesem auch nach seinem Tode als treu erwiesen. Er war also der Briefschreiber und heimliche Helfer gewesen, deshalb musste er sterben. Als Gerard zu Ende gelesen hatte, fiel ihm plötzlich die Dose, die er in seine Hosentasche gesteckt und in der Aufregung ganz vergessen hatte, wieder ein. Er nahm sie heraus und wollte sie öffnen, doch sie war ja ewig in feuchter Erde gelegen, vollkommen verdreckt und eingerostet.
„Ich das machen“, bemerkte Marco, der ein merkwürdiges Messer aus der Jacke zog und dabei ungeduldig von Kathrin wieder verbessert wurde:
„Ich mache das, heißt es, verdammt noch mal!“
„Ich haben gemacht“, eröffnete Marco unberührt und hielt der verzweifelten Kathrin die aufgebrochene Dose hin. In dem Behälter befand sich ein alter tosischer Schlüssel. Alle atmeten erleichtert auf. Nun musste man nur noch das Schloss dazu finden und das Rätsel war gelöst. Wo nur in diesem riesigen Anwesen würde man jetzt die richtige Tür dazu finden?
Evelyn glaubte den so simplen Ausgang dieser Geschichte nicht so recht. Zum ersten war sie jemand, der an ein Leben nach dem Tod glaubte und zweitens, wo sollte Old Seeling das Pergament, die Tinte und die antike Schreibfeder, die es heute gar nicht mehr gab, herbekommen haben? Außerdem hatte sie ein ganz merkwürdiges Kribbeln in der Magengegend. Und auf ihr Bauchgefühl konnte - und da war sie sich ganz sicher - immer verlassen.
Sie musste unbedingt mit, als sich Gerard und Marco, nachdem die Polizei eingetroffen war, auf die Suche machten. Evelyns Rollstuhl glitt über schwere Teppichböden lange dunkle Gänge entlang. Zwei Lichtkegel folgten ihr. Als Gerard und Marco miteinander zu reden begannen, meinte sie: „Pssst, seid still!“ Eine innere Stimme begleitete sie auf ihrem Weg und wie von Geisterhand brachte diese sie auf die richtige Fährte.
Der Schlüssel passte genau in das Schlüsselloch der stählernen Tür, die zum Keller führte. Die beiden Männer mussten nun alleine weiter gehen. Eine schmale Treppe führte sie in die Tiefe, bis es plötzlich nicht mehr weiter ging. Eine Ziegelmauer versperrte ihnen den Weg. Das war seltsam, und man erkannte sofort, dass die Barrikade nachträglich eingebaut worden war. Beide ahnten, dass sich dahinter das Skelett des alten Grafen befinden musste. Das herauszufinden war jedoch Arbeit der Polizei, die diesen Sachverhalt später auch bestätigen konnte.
Das Personal wurde nach einer wilden Verfolgungsjagd, denn sie hatten allesamt die Flucht ergriffen, verhaftet und abtransportiert. Old Seelings Frau erzählte der Polizei und auch der Familie, dass sie ihren Gatten im Billardzimmer leblos vorgefunden hatte. Von ihr stammte auch der Schrei, den die kleine Truppe gehört hatte, als sie sich bei der ehemaligen Stätte der Falkenzucht befanden. Um nicht auch noch ermordet zu werden, hatte sie sich im Turm des Schlosses versteckt, bis die Polizei gekommen war.
Unter Tränen packte Frau Seeling ihre Koffer, nicht eine einzige Nacht würde sie mehr in diesem Hause bleiben. Sie rief ein Taxi, um zu ihrer Schwester zu fahren. Für die Beamten gab es eigentlich nur einen Mord, den an Old Seeling.
Deshalb konnte die Familie, als man am nächsten Tag wieder unter sich war, die sterblichen Überreste von ihrem Urahn auf dem Familienfriedhof begraben und für ihn um Verzeihung bitten.
In Amalias Grab betteten sie die Gebeine ihrer einst so großen Liebe. War es ihnen im Leben nicht vergönnt, so waren sie wenigstens im Tode vereint. Wieder war es dunkle Nacht, als dann später alle beisammensaßen. Aber der Mond schien irgendwie freundlicher auf das Alte Schloss, das seinen Schrecken verloren zu haben schien.
Im Erker des Speisezimmers stand ein großer Tannenwipfel, den die Familie gemeinsam schmückte, denn man hatte beschlossen, miteinander das Weihnachtsfest zu feiern. Es würde ja wohl das letzte Mal sein, dass man hier gemeinsam zusammensitzen konnte. Manchen von ihnen tat es plötzlich leid, das Anwesen zu veräußern.
Kathrin jedoch war da ganz anderer Meinung, sie strahlte über das ganze Gesicht und meinte: „Nun, hat es sich doch gelohnt, jetzt können wir verkaufen“, und Marco hob wieder spitz den Zeigefinger empor und rief: „Genau, genau!“
Leunam hatte seine Fassung auch wiedergefunden und tanzte wild schreiend im Zimmer umher, einen imaginären Polster vor sich herschiebend und rief: „Franzl, mach mir die Fledermaus!“ worauf alle lachend los brüllten und die beiden Betroffenen rot im Gesicht anliefen.
Agatha lächelte auch wieder freundlich über ihre Brille und meinte weise: „Seht ihr, es gibt ja doch keine Geister.“
„Komisch ist nur eines“, lächelnd blickte Evelyn zuerst ihre Schwiegermutter an und dann in die Runde, „komisch ist nur - von wem ist dann wohl dieser Brief?“ Sie zeigte auf ein Pergament, das mitten unter den Geschenken lag.
Gerard stand auf, entfaltete die Rolle, und begann leise vor sich hinzulesen. Dann musste auch er lächeln.
Gerard drückte Evelyn ganz fest an sich und während die beiden eng umschlungen am Sofa unter dem riesigen Weihnachtsbaum saßen, stürzten allesamt auf das Papier, das auf den Boden gerollt war:
Ein Seufzer der Erleichterung
Verhallt durch alte Räume
Ein säuseln der Glückseligkeit
Huscht durch die hohen Bäume.
Graf Grauenstein ist tot
Und kann nun endlich ruh´n
Begraben untern Lindenbaum
Es gibt nichts mehr zu tun.
Vereint sind sie im Tode
Vater, Mutter, Kind
Und über ihre Gräber
Flüstert leis´ der Wind.
Mit Mut und Heldentum
Die Tat sie ist vollbracht
Ihr seid ein tolles Team
Das habt ihr gut gemacht.
Nun kehrt der Frieden ein
Schloss Grauenstein soll Euer sein
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