Ingrid Erkin-Gayl in ESSLING Nr. 5 - Treffpunkt Essling - Mittendrin und doch Daheim!

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Die Esslinger Furt (Foto: Ingrid Erkin-Gayl).

02.12.2021

Ingrid Erkin-Gayl in ESSLING Nr. 5

Die Lobau. Meine Liebe auf den zweiten Blick.

Ingrid Erkin-Gayl schreibt über ihre Beziehung zur Lobau. Vom ersten Eindruck bis zum Kampf um diese wunderbare Urlandschaft.

Kennengelernt habe ich sie vor  mehr als 40 Jahren als Heimkehrerin nach fünf Jahren Lehrerinnendasein in Brasilien, randvoll mit Naturerlebnissen in den tropischen Urwäldern. Da schaut man sich als zwei zugewanderte Älpler natürlich zunächst die Kultur und die Berge rund um Wien an und denkt dazwischen vielleicht sehnsüchtig an die vielen Wanderungen und Bootstouren in Amazonas & Co. 

Eine Wunderwelt mitten in Wien

Bis mein Mann mir die Wildnis seiner botanischen Studentenexkursionen in den strahlendsten Farben schilderte. Also nichts wie hin in die Donau Auen! Doch da kam mir die immergrüne Erinnerung an die Tropen mitten im November in die Quere. Die Enttäuschung über die nackten Baumgestalten im Nebel war riesengroß. Erst viel später entdeckte ich ihren eigenen Zauber. Dann kam der erste Au-Winter und das große Staunen über die weiße Formenvielfalt: da eine Weide im Schneeschleier, dort ein querliegender Baumriese mit dickem weißen Pelz über dem spiegelglatten Eis des Altarms, dazwischen Baumstämme in glitzernden Rüschen vom langsam schmelzenden und wieder erstarrenden Schnee. Kein Nadelwald kann da mithalten!  
Langsam dämmerte es mir: Das ist unser Urwald, ein wildes Durcheinander und harmonisches Nebeneinander verschiedenster Pflanzen und Tiere, eingebunden im Nacheinander der Jahreszeiten. Der erste Frühling in der Lobau war dann das entscheidende Erlebnis.  Ein grüner Farbenrausch, Orchideen in unerwarteter Vielfalt, blitzblaue Moorfrösche im Hochzeitskleid und Schildkröten in Reih und Glied auf Baumstämmen im Wasser. Von da an war die Au Ausflugsziel Nummer eins mit meinem lebenden Naturlexikon = Botaniker Ehemann an der Seite. Die Gewohnheit aus Brasilien, zu Fuß und behutsam im Wald unterwegs zu sein, bewährte sich auch zu Hause. Nur wer langsam ist, wird genau schauen, naturblinde Raser brauchen nicht in der Au unterwegs zu sein!

Und dann noch das Glücksgefühl darüber, dass diese Wunderwelt in Wien beginnt, ich kenne keine andere Großstadt in Europa, die am Rande einer Urlandschaft liegt, in der Gewässer, Wiesen und Wald immer wieder neue, unerwartete Blicke frei geben. So viele Arten von Pflanzen und Tieren können sich hier frei entfalten! Auch unsere brasilianischen Freunde waren entzückt über unseren Dschungel ohne Giftschlangen und sonstige Gefahren. Diese gehen bei uns nur von den Menschen aus: Gifte, die man heutzutage immer mehr in der Au antrifft sind Zigarettenstummel und Plastikmüll. 

Der Kampf um die Au beginnt

Wie einzigartig unsere Auen sind wurde uns allmählich bewusst, als wir donauaufwärts nur noch in Stauseen verwandelte kümmerliche Reste vorfanden. Eine echte Au braucht einen fließenden Fluss, der sie geschaffen hat und immer wieder neu formt. Sie wird auch zum Schutzraum der umgebenden Landschaft, weil sie immer wieder auftretende Hochwässer schluckt und in neue Lebensräume verwandelt. Nicht nur uns wurde klar, wie wichtig es war, dieses letzte Stück ungebändigter Flusslandschaft zwischen Wien und der Hainburger Pforte zu erhalten. Die Pionierin der Auenbotanik, Elfrune Wendelberger, musste schmerzlich erleben, wie ihr Dissertationsgebiet in Oberösterreich unter dem Wasser eines Stausees verschwand. Ihr Buch „Grüne Wildnis am großen Strom“ öffnete auch vielen WissenschaftlerInnen die Augen. 

Um unsere Lobau kümmerte sich schon sehr früh jemand, der aus einem ganz anderen Beruf kam: Der Rayonsinspektor Anton Klein setzte in mühsamer Überzeugungsarbeit durch, dass die Lobau 1978 Naturschutzgebiet wurde. Mit seinem kleinen Lobaumuseum versuchte er unermüdlich, Verständnis für alles Lebendige zu erreichen. Eine unerschrockene und bestens vernetzte Kämpferin für die Natur war auch die Rauchfangkehrermeisterin Sylvia Leitgeb, die „Johanna der Auen“, wie man sie nannte. Die drei stehen für die vielen Ungenannten, die diese letzten Donauauen in einem Nationalpark für alle Zeiten schützen wollten. Warum sollte so etwas  bei uns nicht möglich sein, wo wir von den Tropenländern immer wieder einfordern, ihre Wälder unberührt zu lassen? 

Längst schon hatte die Wirtschaft, allen voran die E-Wirtschaft, diese Landschaft im Visier. Ein Riesenstausee sollte von Hainburg bis fast an die Lobau reichen, eine Staumauer mit Turbinen und Generatoren bei Hainburg den Fluss absperren. Es wäre der Tod für einen der letzten freien Au-Urwälder Europas gewesen. Eine Bürgerinitiative zur Rettung der Au jagte die andere, Einsprüche gegen die Baugenehmigung prallten an der Mauer der Betonierer ab. Wir erwanderten unterdessen die geheimnisvollen Winkel der Au auf beiden Seiten der Donau und sammelten Fotos für den Bildband „Auenblicke“, um zu dokumentieren, was wir zu verlieren hätten.

Im eiskalten Winter 1984 kam es dann zum Show-Down in der Stopfenreuther Au. Tausende von besorgten NaturschützerInnen aus allen Kreisen der Gesellschaft, Jung und Alt, Künstler und Wissenschaftler, Handwerker, Beamte und, und, und, belagerten in Zelten und Erdhöhlen die Au, um sie vor der drohenden Rodung zu bewahren. Gegen die Kälte halfen lange Märsche durch den froststarrenden Auwald. Viele hatten sich dazu extra Urlaub genommen. Auch wir pilgerten täglich zu ihnen und brachten ihnen Decken, Heizöfen und warme Getränke. Bald waren die Bauern der Umgebung im Bunde und versorgten die Lagernden mit wärmenden Strohballen. In Stopfenreuth entstand spontan auf Privatinitiative eine Informations- und Versorgungszentrale, die immer mehr Menschen erreichte.

Die Lage eskalierte, als man am 19. Dezember Scharen von Polizisten mit Hunden in die Au schickte, um den gewaltfreien Widerstand der AuschützerInnen zu brechen. Das ging nicht ohne Prügel, sogar Blutvergießen ab. Auch die Künstler Hundertwasser und Arik Brauer hielten ihre Köpfe hin. Weinend mussten wir alle zusehen, wie schon in einem Stück Au die Bäume fielen. Am Abend gingen in Wien mehr als 40.000 Menschen in stummem Protest auf die Straße.
Dann kam zum Glück ein Wochenende, ein Besinnen, und der einsichtige Bundeskanzler Sinowatz stoppte die Polizei-Einsätze und verkündete einen Weihnachtsfrieden. Danach kam es allmählich zum Umdenken: Immer mehr ÖsterreicherInnen, quer durch politische Überzeugungen, Interessen und Berufe, verstanden den Wert der freien Natur – der Weg für den Nationalpark war frei. 

Die Lobau wird Nationalpark

Auch wir  trugen etwas dazu bei: Mein Mann bei der Ausbildung von Nationalpark-Rangern, er begleitete als Wege-Scout den Aktionskünstler Bill Fontana, der 1990 Augeräusche in die gesamte Wiener Innenstadt übertragen hat. Auch das Cousteau-Filmteam hat in dieser Zeit zu uns gefunden. Ich war unterdessen mit ehrenamtlichen Moderationen für den Freikauf der Au bei Regelsbrunn und diversen Veranstaltungen von NGOs beschäftigt. Am 27. Oktober 1996 konnten wir endlich die Gründung des Nationalparks Donau-Auen feiern. Und mit der Lobau reicht dieser sogar bis ins Herz der Bundeshauptstadt! Damit wurde unsere Lobau zu einem beliebten geschützten Ausflugsgebiet, und im Lockdown der Corona-Epidemie zu einem wertvollen Freiraum für alle, die sonst in engen Wohnungen eingesperrt wären. 

Was ich mir für die Au wünsche: Gehen wir sorgsamer mit ihr um, hinterlassen wir nur unsere Fußspuren und sonst nichts, lassen wir sie auch weiterhin unangetastet über und unter der Erde. Eine asphaltierte Rennbahn, ein Tunnel tief unten im Donauschotter, wäre das Ende unserer Lobau, und damit wohl auch des gesamten Nationalparks.

Autorin: Ingrid Erkin-Gayl


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