In Essling Utopien verwirklichen! - Treffpunkt Essling - Mittendrin und doch Daheim!

kontakt | impressum
find us on: facebook instagram

Filter zurücksetzen

image
Hermann Steier liest "In Essling Utopien verwirklichen!"

26.08.2021

In Essling Utopien verwirklichen!

Als Kind hatte ich öfters den Alptraum, in einem engen grauen Raum zu sein und mich von den Wänden bedrückt zu fühlen. Damals wohnte ich in einem grünen Vorort am Rande von Linz. Heute wohne ich in Essling in ähnlicher Lage. Alpträume habe ich keine mehr, aber einen Alport im Ort: das Stück Esslinger Hauptstraße von der Kirschenallee bis zur Kirche. Von hier treibt es mich fort, wie durch einen Windkanal. Dröhnen und graue Wände sind der Eindruck, der meine Vorstellung von diesem Ort bestimmt. Ich vermeide ihn. Es gibt kein Ziel mehr in diesem Abschnitt, das ich ansteuere, seit der Tresor abgerissen ist. Dorthin drückte ich mich früher die Wände entlang über den Gehsteig, ohne links und rechts zu schauen. 
Ich habe ein Bild, als wäre ich in einem Tunnel eingemauert mit lauten Autos. Bin ich dort unter der Donauplatte oder in meinem Alptraum? Dieser Abschnitt könnte das Zentrum von Essling sein. Es ist sein Herz aus Stein und scheint auch bei anderen Wunschphantasien zu beflügeln: Einen Tunnel unter die Donau würden sie sogar graben, um von hier ein paar Autos wegwünschen zu können. 
Ja, ein Tunnel könnte die Lösung sein! Ein Tunnel unter die Esslinger Hauptstraße, dann könnte oben ein schöner ruhiger Platz mitten im Ort sein. Unten die Einfahrt in eine Tiefgarage, um oben ohne Parkplatzsuche einkaufen zu gehen. Kürzlich habe ich den Ausdruck „städtebaulicher Vertrag“ gelesen. Könnte man das nicht von den Bauwerbern entlang der Straße finanzieren lassen? Jedes Jahr werden hier ganze Häuserblöcke neu errichtet. Da müsste doch einem sein Projekt einen Tunnel wert sein und einem anderen seines eine Tiefgarage.
Aber was gibt es hier eigentlich zu retten? Die Straße? Warum nicht einfach eine Ebene darüber einziehen, wie die Donauplatte bei der Donauuferautobahn, und dort den Dorfplatz errichten? Dann muss man die Straße nicht umgraben. Und die letzten bestehenden Geschäfte kann man von unten nach oben übersiedeln. 
Ja, übersiedeln, das wäre überhaupt etwas, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt. Kann man nicht auf einem der Äcker rund um Essling – beim Telefonweg, hinterm Schüttkasten, jenseits der Seefeldergasse – ein neues Zentrum bauen? Ohne Esslinger Hauptstraße? Oder mit einer neuen, die Fußgängerzone ist? Das gibt es schon und heißt Seestadt? Ich sollte übersiedeln, statt der Hauptstraße? Aber die Seestadt heißt Aspern und Essling kann ich nicht so als Schandfleck zurücklassen. Es hat sich mehr verdient, als ein Nebenschauplatz in der Schlacht bei Aspern zu sein. Wo ist heute das Bollwerk gegen die Donauquerung? Gegen die Blechlawine statt gegen Blech tragende Heere? Der Schüttkasten hat diese Rolle schon einmal gespielt und sollte das neue Rathaus werden, mit einem schönen neuen Platz  und einer Siedlung ohne Autos drum herum, wo endlich Ruhe wäre und man verweilen und sich mitten im Ort treffen kann und will.
Das führt mich in die zweite Richtung: Essling am Kreuz. Ans Kreuz geschlagen? Das aus Papier gefaltete Himmel-und-Hölle-Spiel ist eine andere Kindheitserinnerung. Der Höllenspalt in der einen Richtung führt in die Stadt und auf’s Land. Zu einem von beiden scheint es jeden zu drängen, der dafür ein Auto braucht. Quer dazu führen durchgehende Grünanlagen neben der blühenden Kirschenallee vom Ort in die Lobau: meinen Esslinger Himmel. Sie verbinden zwei Utopien. Die letztere wird auch schon eifrig untergraben, soll sie doch vom Lobautunnel unterhöhlt werden. Parallel zur Rohölleitung soll eine Verkehrsader durch’s Grün gezogen werden – für den motorisierten Individualverkehr zwischen Dorf und Lobau? Nein, sie wäre ein Faden im TEN-Netz, des Trans-European Networks. Tirol als Transitland würde in den Osten gespiegelt, damit Lastwagenkolonnen auch hier von Nord nach Süd rollen könnten. Dann wäre die Esslinger Hauptstraße nicht mehr alleine damit und Essling ein Knoten im Spinnennetz. 
Wir sind in unserer kleinen heilen Welt der Schrebergärten und privaten Parks hinter Thujenhecken nicht mehr alleine. Die Globalisierung kommt aus allen Richtungen herein und versiegelt Flächen. Metastasierende Wohnbauwucherungen füllen freie Bodenflächen, ohne dass dabei erkennbare öffentliche Infrastruktur entsteht. Kaum neue Buslinien, keine öffentlichen Plätze, die anziehen und zum Verweilen einladen. Kaum neue Geschäfte, Lokale oder Dienstleister. Kein erkennbares Zentrum. Neben der Autofabrik entsteht derweil ein Gewerbegebiet mit dem Geschmack des Speckgürtels. McDonalds statt Gasthof Müllner: Drive in! Suburbane Einöde verdrängt kleinstädtisch biederes Gartenglück. Die Dorfutopie so ausgehöhlt wie vielleicht bald die Lobau? Hölle statt Himmel – in alle Richtungen?
Essling braucht ein umfassendes Stadtentwicklungskonzept, um zu überleben. Detailliert und ambitioniert wie das der Seestadt. Mit Ressourcen und Ideen ausgestattet. Von wem, wenn nicht von uns? Zu spät, wenn nicht jetzt: Treffpunkt Essling – yes, we can!

 

Hermann Steier ist Waldorflehrer in Schönau a.d.Triesting, wohnt in Essling, hat Mathematik studiert und ist Vater eines Teenagers.

Hermann Steier


Tagged: Literatur in Essling |

Filter zurücksetzen



 

Kontakt: inspirine-mail: office@inspirin.at | Site by FC Chladek Drastil GmbH