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Gerhard Gstöttner von der Rad Agenda 22 spricht mit Manfred Schmid über den Radwegausbau in Essling (Foto: Manfred Schmid)

30.04.2021

Die Pedalritter aus Essling

Radkonzepte für die Zukunft

Es ist 15:27 Uhr. Ich biege von der Ultzmanngasse in die Lannesstraße. Noch 3 Minuten, das sollte reichen. Zügig trete ich in die Pedale Richtung Esslinger Hauptstraße. Dort angekommen ist die Ampel wie immer rot. Ich bin knapp dran und der Spar ist gleich daneben. Dort wartet Gerhard Gstöttner von der Rad Agenda 22, um mir Informationen zu dem Radwegausbau in Essling zu geben. Soll ich den Gehsteig nehmen? Es ist niemand zu sehen, der sich daran stören würde. Nur mein Gewissen hält mich davon ab. In diesem Moment schaltet die Ampel auf Grün. Glück gehabt.

Am Parkplatz steht schon mein Interviewpartner, der auch mit dem Rad gekommen ist. Wir hatten zuvor 2 Mal miteinander telefoniert. Dass wir beide mit dem Fahrrad kommen, war nicht ausgemacht. Aber irgendwie selbstverständlich. 

Gekleidet in Jeans, Sportschuhen, einer roten Radjacken und einem unauffälligen City Bike sieht man ihm seine Herzensangelegenheit – das Radfahren - nicht direkt an. Aber seine sportliche und drahtige Figur lässt auf ordentlich Kraftausdauer in den Waden schließen. Der Mann ist definitiv viel mit dem Rad unterwegs.

Seit 2003 ist Gerhard Gstöttner bei der Rad Agenda 22 dabei. “Eine Gruppe engagierter Personen verschiedenster Altersstufen mit dem gemeinsamen Interesse am Radverkehr“ wie es auf deren Website rad22.at heißt. Ziel ist es, die Situation für FahrradfahrerInnen im Bezirk zu verbessern. Unterstützung dafür gibt es von der Bezirksverwaltung.

Der Plan

Nach einer kurzen Begrüßung sind wir sofort beim Thema. Es geht um den geplanten Ausbau des Radweges entlang der B3, also Groß Enzersdorferstraße, Esslinger Hauptstraße bis nach Groß-Enzersdorf. Im Auftrag des Bezirksvorstehers und der Bezirksvertretung soll im ersten Schritt ein Konzept erstellt werden. Gemeinsam mit der MA18 und einem Planungsbüro ist Gerhard Gstöttner als Koordinator aktiv an der Planung mit eingebunden. Dieses Konzept soll bis Ende Jänner 2021 abgeschlossen sein. Danach werden Schritt für Schritt die baulichen Maßnahmen umgesetzt. So zumindest der Plan. Der Start der Konzeptphase Anfang Oktober 2020 hat sich allerdings bereits um ein paar Wochen verzögert.

Wenn man sich in den Sozialen Medien zu diesem Thema umhört, ist es keine leichte Aufgabe. Als FahrradfahrerIn gehört man unweigerlich zu einer besonderen Spezies des Straßenverkehrs. Vor allem dann, wenn man nicht nur mit buntem und engem Gewand die Donauinsel rauf und runter surrt, sondern auch in der kalten Jahreszeit und bei Dunkelheit sein Rad als echtes Fortbewegungsmittel nutzt.

Auch wenn das Konzept erst im Entstehen ist, die Rahmenbedingungen sind klar: schnelle und vor allem sichere Verbindungen für radfahrende VerkehrsteilnehmerInnen. Die Ausarbeitung eines solchen Konzepts beginnt nicht mit dem Besichtigen von Straßen, sondern mit der Analyse der Zielgruppe. Mit wie vielen RadfahrerInnen ist zu rechnen und wo werden diese aller Voraussicht nach unterwegs sein? Beim Ziel ist man schnell fündig. In Essling wird hauptsächlich geschlafen und die Freizeit verbracht. Gearbeitet wird in den inneren Bezirken, in vielen Fällen über der Donau. Die nahegelegenen U-Bahnanbindungen und die innerstädtischen Bezirke sind daher das bevorzugte Ziel für die Drahteselnutzer.

Konkret gibt es derzeit drei Hauptrouten in die Stadt. 

Die Varianten

An der ersten von den drei Routen stehen wir gerade. Der Radweg an der Esslinger Hauptstraße zwischen Lannesstraße und Kirschenallee ist gemischt. Das heißt, FußgängerInnen und FahrradfahrerInnen teilen sich den Gehsteig. Keine optimalen Bedingungen, wie mir Gerhard Gstöttner erklärt. Hier besteht der größte Bedarf, denn der Bereich ist nicht breit genug. Zudem führen Bäume stellenweise zu weiteren Verengungen. Und bei den Quergassen ist als RadfahrerIn höchste Vorsicht geboten.

Während wir uns die Situation genau ansehen sind einige Leute auf ihren Rädern zu beobachten. Vom dichten Verkehr wie bei den PKWs, die an uns vorbeifahren, sind wir weit entfernt. Der Bedarf an Radwegen ist aber definitiv gegeben.

Die zweite Hauptroute führt durch die Gassen zwischen Esslinger Hauptstraße und der Lobau, dem sogenannten Lobauvorland. Man könnte meinen, dass es hier ruhiger zugeht. Allerdings ist auch hier zu den Stoßzeiten der Autoverkehr sehr stark und unangenehme Situationen zwischen Auto und Fahrrad sind in den Gassen keine Seltenheit.

Hier muss ich nun erstmals auf den schwelenden Konflikt zwischen AutofahrerInnen und FahrradfahrerInnen ansprechen, wie man ihn in diversen Sozialen Medien verfolgen kann. Wie sehr spielt dieser Konflikt eine Rolle bei solch einer Planung? Pop-Up-Radweg ist das neue Reizwort bei vielen AutofahrerInnen. Und er hat, wo auch immer in der Stadt zu finden, kein leichtes Dasein. Nimmt er doch augenscheinlich Platz für Autos auf den Straßen weg. Zur Freude der AutofahrerInnen sind diese teilweise mit Oktober wieder verschwunden. Die Vorurteile bleiben. Kämpft der Fahrradlobbyist also gegen Windmühlen, wenn es um Verbesserungen geht? Nein, nichts von all dem erklärt Gerhard Gstöttner. „Ganz im Gegenteil. Das Konzept und die Umsetzung sind in dieser Arbeitsgruppe von allen Beteiligten ernst gemeint.“ Gibt es da gar keine Konflikte? „Nein, weit und breit kein Konflikt. Dieser spielt sich tatsächlich nur in den Medien und stellenweise auf der Straße ab. Echte Verbesserungen sind das gemeinsame Ziel aller Beteiligten,“ so sein Eindruck. „Dennoch wird man im Laufe der Ausarbeitung irgendwann an dem Punkt angelangen, wo Verkehrsfläche dem einen weggenommen und dem anderen zugesprochen wird. Soweit ist man aber derzeit noch nicht.“

„Nein, weit und breit kein Konflikt. Dieser spielt sich nur in den Medien und stellenweise auf der Straße ab. Echte Verbesserungen sind das gemeinsame Ziel aller Beteiligten.“ - Gerhard Gstöttner

Genussradeln

Die dritte Fahrradroute führt durch die Lobau. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dies die angenehmste Strecke ist. Nicht nur weil sie autofrei ist, sondern weil es morgens einfach großartig ist, die Natur zu genießen. Allerdings nur solange es auch hell ist. Und da sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt, der für die Konzeptausarbeitung relevant ist: die Beleuchtung. Damit ist nicht die am Fahrrad gemeint, sondern die Straßenbeleuchtung und vor allem die an den Abstellplätzen bei den U-Bahnstationen. Auf einigen Fahrradstrecken wie zum Beispiel der Donauinsel oder auf der Praterbrücke ist es ab Herbst abschnittsweise stockdunkel. Hier gibt es Verbesserungspotential. Beleuchtung ist auch ein wichtiges Merkmal für attraktive und sichere Abstellplätze. Apropos Abstellplätze. Wie einflussreich die Arbeit der Rad Agenda 22 ist, wird deutlich, als mir Gerhard Gstöttner von dem Radabstellplatz bei der U2-Station Donauspital erzählt. Dieser wurde auf seine Initiative hin vergrößert. Ebenso hat er bei der neuen Gestaltung des Radweges entlang der Wagramerstraße mitgewirkt. Aber auch sehr viele andere kleine Verbesserungen konnten im Laufe der Zeit umgesetzt werden.

In der Zwischenzeit machen wir uns mit dem Rad auf den Weg zurück, die Lannesstaße entlang zur Arztgasse, um zur Flugfeldstraße zu gelangen. Wir sind flott unterwegs, als uns ein PKW knapp überholt. Ein Sinnbild für dieses Thema. Währenddessen tauschen wir uns über unsere eigenen regelmäßigen Routen aus. Auch Gerhard Gstöttner muss täglich über die Donau in die Stadt. Die Verbindung aus Essling führt zur Donauinsel, dort bis zur Praterbrücke und dann durch die Prater Hauptallee. Je nach Ziel zweigt man dann früher oder später irgendwo davon ab. Auch hier weiß ich aus eigener Erfahrung, dass dies eine von FahrradfahrerInnen viel genutzte Strecke ist. Einen Stau allerdings, wie Gerhard ihn mir schildert, habe ich noch nie erlebt. Die Vorstellung, dass es auf der Praterbrücke nicht nur oben bei den Autos staut, sondern auch unten am Radweg, löst ungläubiges Schmunzeln bei mir aus. 

An der Ecke Flugfeldstraße zur Heustadlgasse bleiben wir stehen. Die Sonne steht bereits tief. Für Gerhard ist dieser Straßenabschnitt ein gutes Beispiel für eine mögliche Radroute. Breit und im Durchschnitt kaum befahren. Ausgenommen zu den Morgen- und Abend-Stunden. Zu dieser Zeit gleicht es hier einer Autobahn. Wir sind uns einig, diesen Straßenabschnitt zu den genannten Zeiten zu meiden. 

Die Ernüchterung

Obwohl ich selbst auch oft mit dem Auto unterwegs bin, merke ich, wann immer wir im Gespräch beim Punkt Auto angelangt sind, wie tief in mir drinnen unweigerlich die Schubladisierung beginnt. Zusätzlich wird dieses Gefühl durch die vielen vorbeifahrenden PKWs befeuert. Darauf angesprochen erklärt Gerhard nochmals ganz emotionslos, dass es ihm nicht darum geht einen Kampf gegen andere Verkehrsteilnehmer auszutragen. Ganz im Gegenteil. Sein persönliches Interesse ist es, eine sichere und ausgewogene Lösung für alle Verkehrsteilnehmer zu erzielen und die Interessen als Radfahrer hier bestmöglich mitzunehmen. Das Rad ist Teil eines kompletten Verkehrskonzepts gemeinsam mit Auto, Öffis und FußgängerInnen.

Diese Ernüchterung bringt mich zum nächsten interessanten Punkt. Wie weit werden zukünftige Entwicklungen in das Konzept miteinfließen? In den letzten Wochen kam das Thema Straßenbahnverbindung nach Groß Enzersdorf in den Medien auf. Der Lobautunnel wird ebenfalls die Verkehrssituation verändern. Kann man all diese Faktoren berücksichtigen? Gerhard antwortet zögerlich mit einem Ja. Soweit es die bisher vorhandenen Informationen zulassen, werden diese Punkte berücksichtigt. Wobei es beim Thema Straßenbahn noch überhaupt keine konkreten Informationen wie den Trassenverlauf gibt.

Neben den Straßen selbst sind auch Feldwege eine Option für Radrouten. Zum Beispiel die Verbindung der stillgelegten Saltenstraße zur Lobaugasse. Ein sehr schöner Schotterweg, den sich RadfahrerInnen und FußgängerInnen teilen. Ich selbst nutze diese Verbindung gerne als Alternative zur Brockhausengasse bei Dunkelheit. Die Verlängerung Richtung Dittelgasse dürfte allerdings noch auf sich warten. Hier liegen die Probleme ganz woanders. Grundstücke wie dieses, die für solche Routen in Frage kommen, sind oftmals im Privatbesitz. Hier scheitert es nicht am Umsetzungswillen, sondern an den Eigentumsverhältnissen und den Verhandlungen mit den Besitzern. Dabei wäre genau dieser Abschnitt eine wichtige Verbindung zum Beispiel auch zur AHS Heustadelgasse.

Damit sind wir bei einem weiteren interessanten Punkt angelangt: das Mobilitätsverhalten von morgen. Gerhard Gstöttner bestätigt meinen Gedankengang, dass wir mit ausreichend sicheren Radstrecken unsere Kinder heute schon bedenkenlos per pedes zur Schule fahren lassen könnten. Was fast schon wie ein moralischer Endmonolog in einem kitschigen Film klingt, hat dennoch viel Wahres. Unsere Kinder sind die AutofahrerInnen, RadfahrerInnen, ÖffifahrerInnen und FußgängerInnen von morgen. Was wir ihnen heute vorleben und anlernen, wird sich auch in diesem Bereich in der Zukunft niederschlagen. Das Thema Radwege zu Schulen kam auch in einer spontanen Umfrage einer Arbeitsgruppe der Stadtregierung aus dem benachbarten Groß Enzersdorf als vielfacher Wunsch auf. Dort werden übrigens unabhängig von den Aktivitäten im 22. Bezirk ebenfalls Maßnahmen evaluiert. Die Umfrage wurde sowohl in den Facebook Gruppen für Essling als auch Groß Enzersdorf durchgeführt. Die Anregungen kann man für beide Gebiete gleichermaßen heranziehen. Neben den Schulradwegen sowie dem generellen Ausbau von sicheren Radwegen waren Abstellplätze bei Geschäften hoch oben auf der Wunschliste der RadfahrerInnen. 

Licht und Schatten

Zum Abschluss unseres Gesprächs darf ein Punkt nicht fehlen, welcher immer wieder in Gesprächen zum Thema Fahrradfahren auftaucht. Die Musterbeispielstadt Kopenhagen. Von allen als der heilige Gral für Fahrrad-Verkehrspolitik hochgepriesen und als Inbegriff von gelungener und gelebter Fahrradideologie gesehen. Was ist dran an dem Mythos? Gerhard Gstöttner versucht es mir mit einfachen Worten zu erklären. Kopenhagen und Wien sind sich hinsichtlich Verkehr in einigen Punkten ähnlich. Etwa der Modalsplit, also die Anteile der Menschen, die mit Auto, Öffi, Rad und zu Fuß täglich unterwegs sind. In beiden Städten ist der AutofahrerInnen-Anteil annähernd gleich hoch. Wir sprechen hier von zirka 25-30%. Also kein nennenswerter Unterschied. Der große Unterschied besteht bei den öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese sind laut Gerhard Gstöttner in Wien vergleichsweise sehr gut ausgebaut. Diesen Nachteil haben die KopenhagenerInnen mit dem Ausbau des Radwegenetzes kompensiert. In Kopenhagen fahren die Menschen unter anderem auch deswegen so viel mit dem Rad, weil es schlicht nicht die Alternativen wie hier in Wien gibt. Während wir also aus Sicht der RadfahrerInnen neidisch in die dänische Hauptstadt schauen, blickt gleichzeitig jemand aus dem RadfahrerInnenparadies nach Wien auf unsere Öffis. 

Ob und wieviel Verbesserung das Konzept und die Umsetzung in Essling tatsächlich bringen wird, werden wir im Laufe des kommenden Jahres sehen und darüber berichten. Mittlerweile ist es dämmrig geworden an diesem späten Oktobertag. Gerhard Gstöttner und ich verabschieden uns, drehen unsere Lichter auf und radeln beide heimwärts.

"Während wir aus Sicht der RadfahrerInnen neidisch nach Kopenhagen schauen, blickt gleichzeitig jemand aus dem RadfahrerInnenparadies nach Wien auf unsere Öffis." - Manfred Schmid

AutorIn: Manfred Schmid


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